Bergedorfs Einwohnerwehr: erst auf die lange Bank, dann in die Ablage

Bergedorfer Zeitung, 6. Oktober 1919

Der Vorsitzende des Stadtparlaments, Wilhelm Wiesner, handelte schnell und entschlossen: der zu einem Antrag angemeldete Redner (Kellinghusen) war nicht im Raum – da stellte Wiesner dessen Fehlen fest und schritt in der Tagesordnung voran. Das regte den BZ-Berichterstatter auf: „So fix mit einem Versäumnisurteil ist wohl selbst der paragraphenpeinlichste Richter nie bei der Hand gewesen.“

Wiesner erreichte durch seine Sitzungsleitung, dass der Antrag Kellinghusens auf Schaffung einer Einwohnerwehr vom 25. Juli nicht beraten wurde, was ihm wohl durchaus recht war, denn die hiesige SPD lehnte diese Wehr ab (siehe den Beitrag Einwohnerwehr für Bergedorf?). Kellinghusen dagegen war offenbar vom Pech verfolgt: im August hatte es keine Sitzung gegeben, an der September-Sitzung hatte er nicht teilgenommen, weshalb sein Antrag vertagt worden war – nun also die nächste Verschiebung.

Bergedorfer Zeitung, 11. Oktober 1919

Erfreulicherweise für Kellinghusen gab es im Oktober eine weitere Sitzung, in der sein Antrag endlich debattiert und schließlich an eine eigens eingesetzte Kommission zur weiteren Beratung verwiesen wurde. Die in der Debatte geäußerte Absicht des USP-Vertreters Hauschild, der nach der Mandatsniederlegung von Carl Seß diesen ersetzte, sie zu einer „Beerdigungskommission“ zu machen, ging Ende November in Erfüllung: die Kommission empfahl mehrheitlich die Ablehnung des Antrags, und das Plenum folgte dem Votum des Ausschusses (BZ vom 29. November).

Die Ablehnung der Pläne durch die Bergedorfer SPD überrascht durchaus, denn rund um Bergedorf sah man die Sache anders: für die Hamburger Einwohnerwehr mit 30.000 Mann bewilligte die Bürgerschaft mehrfach sechsstellige Beträge (BZ vom 28. August, 12. September und 13. November). Auch die Nachbargemeinde Sande sprach sich nach langen Beratungen mit SPD-Mehrheit dafür aus – die USP war aus „programmatischen Gründen“ dagegen, während bürgerliche Vertreter befürchteten, dass die Truppe „hauptsächlich aus Mehrheitssozialisten unter Ausschaltung des Bürgertums“ bestehen würde (BZ vom 3. Dezember). In Bergedorf liefen die argumentativen Linien wohl andersherum.

 

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