Rasende Autler

Bergedorfer Zeitung, 4. August 1922

Genau wie heute: vor hundert Jahren hielt sich nicht jeder Wagenlenker an die Verkehrsregeln, also zum Beispiel: die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit einhalten und die Fahrweise den örtlichen Gegebenheiten und der Situation anpassen – das gab der BZ Gelegenheit, wieder einmal ein Klagelied über „Autler“ anzustimmen.

Bei gutem Wetter wirbelten schnellfahrende Autos eine Menge Staub auf, der sich dann auf die Fenster der Häuser legte – bei Regen sammelten die Autoreifen nassen Dreck und verteilten ihn großzügig und nachhaltig über die Fassaden. Wem das unglaubwürdig erscheint, dem sei ein Gang durch das heutige Sachsentor (damals Große Straße/Sachsenstraße, siehe die Karte von 1904) empfohlen: was heute zum Flanieren geeignete Fußgängerzone ist, war damals die Hauptverkehrsstraße durch Bergedorf. Das Straßenpflaster war mit Sicherheit holpriger als die jetzigen Platten und entsprechend anfälliger für Pfützenbildung, zwischen den Steinen sammelten sich Dreck und Hinterlassenschaften von Pferden.

Besonders die Auswärtigen mit ihren „Luxusautos“ waren es, die rücksichtslos fuhren – die Fahrer von Lastkraftwagen zeigten laut BZ durch ihre Fahrweise, dass manch ein Bauwerk am Rande der Bergedorfer Innenstadt in einem schlechten Zustand war: bei dem Haus in der Neuen Straße zeigten sich die Vorteile der Fachwerkbauweise, denn nur ein Teil des Mauerwerks fiel durch die Erschütterung heraus, die tragende Konstruktion blieb stehen. Anders in der Deichstraße, wo eine ganze Wand aus demselben Grund einstürzte.

So regte die BZ an, zu erwägen, ob nicht für „Hude, Specken usw.“ ein rigoroses Lkw-Verbot eingeführt werden sollte, und die Hausbesitzer aus diesen Straßen forderten ein polizeiliches Einschreiten, bis dahin vergebens (BZ vom 5. August).

Bergedorfer Zeitung, 12. August 1922

Eine Woche später konnte die BZ einen Teilerfolg vermelden: für Lastwagen über 5,5 to Gesamtgewicht ordnete die Landherrenschaft im Specken eine Tempobegrenzung auf 8 km/h an (BZ vom 12. August 1922). Warum das nicht auch für die Hude gelten sollte, bleibt unerklärlich.

 

Bergedorfer Zeitung, 21. Oktober 1922

Verkehrsprobleme verursachten aber nicht nur die Autofahrer, wie der nebenstehende Leserbrief zeigt: mindestens ein Pferdekutscher verhielt sich in der Großen Straße genauso rücksichtslos. Vielleicht war der Wagen des Milchhändlers unbeladen, wenn nicht, gab’s Milkshake in reinster Form.

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