Das Personalkarussell in Bergedorfs Stadtvertretung

Bergedorfer Zeitung, 23. März 1920

Wegen „wiederholter Angriffe und Verdächtigungen“ legten Prof. Dr. Ferdinand Ohly und der Glashüttenbesitzer Wilhelm Dietrichs ihre Mandate in der Bürgervertretung nieder und meinten damit vor allem Bürgermeister Wiesner, der in der Sondersitzung von Magistrat und Bürgervertretung am 21. März „mit scharfen Vorwürfen den Mitgliedern der Rechtsparteien … zusetzte“: es ging um um die Bergedorfer Ereignisse beim Kapp-Putsch (siehe die vorangehenden Beiträge). Statt sich in der Debatte zu äußern, zogen es die Bürgervertreter Kellinghusen, Ohly und Dietrichs vor, die Sitzung zu verlassen (BZ vom 22. März 1920). Am nächsten Tag verkündeten sie dann ihren Rücktritt.

 

Ohly und wohl auch Dietrichs, auf der „bürgerlichen“ Liste ins Parlament gewählt, zählten zur DNVP, bei der an den Putschtagen wahrscheinlich klammheimliche Freude herrschte, dass es nun endlich mit der Demokratie vorbei sein sollte – erst als es mit dem Putsch vorbei war und die demokratisch legitimierten Institutionen wieder die staatliche Macht ausübten, gab es eine Hände-in-Unschuld-waschende Stellungnahme des Vorstands der DNVP Sande: man lehne den Putsch als politisches Mittel ab, aber dass es ihn gegeben habe, sei die Schuld der Regierenden (BZ vom 18. März 1920). Aus der Bergedorfer DNVP gab es kein Wort dazu, wenn man nach der BZ geht.

Es waren also politische Gründe, die Ohly und Dietrichs zum Rücktritt brachten. Ebenfalls aus politischen Gründen hatte Carl Seß, der übrigens nicht sofort von der USP zur KPD wechselte wie im Beitrag Die USPD Bergedorf und der Schleichhandel dargestellt, schon 1919 seinen Rücktritt erklärt, und der für ihn nachgerückte Karl Hauschild amtierte nur bis 1920. Auch hier war der Grund des Ausscheidens innerparteilicher Streit (BZ vom 14. April).

Die anderen Personalwechsel des Jahres 1920 – es waren viele! – hatten unterschiedliche Ursachen: drei Mitglieder wurden in den Magistrat gewählt und mussten deshalb aus der Stadtvertretung ausscheiden, bei zweien war es die Verlegung des Wohnsitzes, eine Bürgervertreterin legte wegen einer schweren Erkrankung ihr Mandat nieder. Bei weiteren drei Ausscheidenden wurden keine Gründe genannt (diverse Ausgaben der BZ). In nicht einmal zwei Jahren, bis Ende 1920, schieden also 13 von ursprünglich gewählten 25 Mitgliedern aus, und von den Nachgerückten gaben drei noch vor Ende der Wahlperiode 1924 ihr Mandat zurück. Da alle Nachrücker Männer waren, gehörte ab 1921 nur noch eine Frau zur Stadtvertretung, die damit fast wieder ein Männerverein war wie vor der Einführung des Frauenwahlrechts.

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