Die Jugendwehr und die Mädchen in Sande

Bergedorfer Zeitung, 4. November 1916

Bergedorfer Zeitung, 4. November 1916

Die Jugendwehr Sande hatte offenbar tatkräftige Sponsoren, die ein vielfältiges Übungs- und Veranstaltungsprogramm ermöglichten und auch Ausstattung lieferten: die „40 Paar Stiefelsohlen“ dürften besonders willkommen gewesen sein – für manche Jungen vielleicht sogar ein Motiv, der Jugendwehr beizutreten, denn Sohlenleder war außerordentlich knapp und teuer (siehe den Beitrag Barfuß zur Schule).

Der Jugendpflegeausschuss Sande, vermutlich der Hauptförderer, wurde (unter dem Vorsitz des Amtsvorstehers Gustav Maik) hier über die durchgeführten und geplanten Aktivitäten unterrichtet, und er gab auch Empfehlungen für die weitere Arbeit. Dann musste sich das Gremium einem anscheinend neuen Aufgabenfeld widmen: von „höherem Orte“ waren Hinweise ergangen, dass man sich auch um die weibliche Jugendpflege kümmern solle, und die weibliche Jugend hatte Wünsche vorgebracht: sie wollte angeblich „dem Spiel und Sport und ähnlichen Vergnügungen huldigen“ – die männliche Jugendwehr hingegen ging neben ihren Übungen auch anderen Betätigungen nach, besuchte Theater und Ausstellungen und traf sich alle zwei Wochen zu lehrreichen Unterhaltungsabenden, die nun durch Lichtbilder-Vorträge noch an Attraktivität gewinnen sollten.

Man fragt sich, ob die Interessen von Mädchen und Jungen wirklich so verschieden waren oder ob der Jugendpflegeausschuss sich schlicht nicht vorstellen konnte (oder wollte), dass die weibliche Jugend auch an Geistigem, Bildendem und Unterhaltendem Interesse haben könnte. Aber wenn man kein Konzept hat, lässt man sich von einem Experten beraten: der Jugendpflegeausschuss lud einen Referenten aus Hamburg ein, der nicht nur die körperliche, sondern auch die seelische Ertüchtigung der Mädchen forderte und darüber hinaus Klassenvorurteile beseitigen wollte, weil „alle Gesellschaftsklassen in der Gesamtheit im Vaterlande gleich“ seien und man für das gemeinsame Ideal kämpfe und sterbe (siehe BZ vom 23. Januar 1917). Solche Aussagen wären vor Kriegsbeginn wohl als revolutionär eingestuft worden – sie waren z. B. mit dem preußischen Dreiklassenwahlrecht, das ja auch für die Wahlen in Sande galt, nicht vereinbar: der hier postulierten Gleichheit zum Trotz hatte es in einer Bekanntmachung wenige Monate vorher geheißen: „Der Wahlberechtigte wird eingeladen …“ (siehe BZ vom 12. August 1916): der von der ersten Klasse gewählte Gemeindevertreter, der Ingenieur Kahle vom Bergedorfer Eisenwerk, war verstorben, und der einzige Wähler, eben das Eisenwerk, musste nun für die Ersatzwahl seine Stimme abgeben. Die Feststellung des Wahlergebnisses dürfte keine allzu großen Probleme bereitet haben.

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