Vor hundert Jahren war Tennis ein Sport ausschließlich der „besseren“ Gesellschaft, und in Bergedorf gab es offenbar Mädchen oder junge Frauen, die sich mit einem jungen Russen zum „Tennisspielen und dergleichen“ trafen, was den Verfasser des Artikels zu der reißerischen Schlagzeile „Unwürdig“ veranlasste und ihn herausstellen ließ, dass solches Fraternisieren gerade mit einem „Untertanen des Blut-Zaren“ verabscheuungswürdig sei, weil „durch russische Hand unzähliges heiliges deutsches Blut fließt“.
Wenn der Verfasser mit seinen Worten Empörung schüren wollte, dann war er erfolgreich: nur gut eine Woche danach konnte die BZ einen Brief „aus dem Felde“ wiedergeben, unterzeichnet „von einer großen Anzahl Feldgrauer“, die ihrer Entrüstung über die Aktivitäten der Damen (in Anführungszeichen!) Ausdruck gaben und den „niederschmetternden Eindruck“ auf die Moral der Soldaten schilderten (obwohl sie ihrerseits wahrscheinlich einen
Kontakt zu jungen Damen im Feindesland nicht abgelehnt hätten: Doppel gibt es nicht nur beim Tennis, sondern auch bei der Moral).
Besonders gern wird der Journalist das der BZ ausgesprochene Lob abgedruckt haben, und den Hinweis auf das Elmshorner Urteil gegen zwei Frauen, die „Verkehr“ mit russischen Kriegsgefangenen gehabt hatten, wird er mit Freude (und Setzfehler) hinzugefügt haben.
Sowohl die Geschichtsklitterung zu Beginn des Artikels als auch die weitere Diktion hätten in leicht abgewandelter Form auch während des zweiten Weltkriegs erscheinen können. Offenbar war die „Bergedorfer Zeitung“ zur damaligen Zeit stark rechtslastig. Eine Aufarbeitung dieses Umstandes wäre sicherlich auch eine interessante Aufgabe. Oder ist dies bereits geschen?
Eine Langzeitstudie zur politischen Ausrichtung der Bergedorfer Zeitung ist mir nicht bekannt. In der Zeit des Ersten Weltkriegs war die BZ konservativ und kaisertreu, wie aus verschiedenen Beiträgen in diesem Blog und den jeweils ausgewählten Zeitungsartikeln zu erkennen ist. Die Meldungen über den Kriegsverlauf entstammten der offiziellen Feder von Wolffs Telegraphenbüros, ansonsten gab es auch Übernahmen von Artikeln aus anderen Zeitungen. Lohnenswert könnte ein Vergleich der lokalen Berichterstattung über Bergedorf und Hamburg mit der des sozialdemokratischen „Hamburger Echo“ sein – vielleicht nimmt sich ja jemand dieses Themas an; Mikroverfilmungen sowohl der BZ als auch des „Echo“ liegen in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg vor.