Eine für heutige Bergedorferinnen und Bergedorfer ungewohnte Ansicht des Südostflügels des Bergedorfer Schlosses zeigt diese (1903 verschickte) Ansichtskarte: das Schloss hatte eine bauliche Krone in Gestalt eines achteckigen Dachreiters, der sich über dem Schlosseingang in der Hoffassade des Südostflügels erhob.
Der Dachreiter war bei dem großen Umbau des Bergedorfer Schlosses, seiner „Neogotisierung“ (siehe den Beitrag Das Schloss und der Einzug der Neogotik), 1898 als Nachfolger eines unvergleichlich grazileren aus der Renaissancezeit errichtet worden (siehe hierzu und zum folgenden: Olaf Matthes, in: Victoria Overlack (Hg.), Das Bergedorfer Schloss). Dieser erste Dachreiter, dessen Dach ursprünglich mit Holzschindeln gedeckt war, wurde bei Renovierungs- und Umbaumaßnahmen in den Jahren 1876/77 komplett mit Schiefer verkleidet, doch gut zwanzig Jahre später wurde er abgerissen und durch den massiveren Neubau ersetzt, dessen Schaft mit (auf der Ansichtskarte schemenhaft zu erkennenden) Kupferplatten verkleidet war.
Doch 1916 wurde das Schloss, genauer: sein Dachreiter, geplündert, wie die nebenstehende Meldung der Bergedorfer Zeitung zeigt: die Kupferbedachung wurde entfernt, „um sie dem Vaterlande zu opfern“, und stattdessen wurde Dachpappe aufgebracht. Kupfer war ein kriegswichtiges Metall, Haushalte hatten ihre kupfernen Gerätschaften und Behältnisse abzuliefern, da wollte (oder konnte) die Stadt nicht zurückstehen.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde, wie diese (nur auf die Zwischenkriegszeit zeitlich eingrenzbare) Ansichtskarte zeigt, der Dachreiter mit einer dauerhafteren, aber wohl preisgünstigeren Außenhautverkleidung versehen, doch 1939 war’s auch damit vorbei, denn der Dachreiter wurde ersatzlos beseitigt. Einzig die aus massiven Hölzern bestehende Unterkonstruktion ist noch vorhanden: sie verbirgt sich unter dem Dach des Südostflügels und könnte bei dem von Matthes als „wichtige Aufgabe für die Zukunft“ bezeichneten Wiederaufbau eines (aber welchen?) Dachreiters genutzt werden.