Die Rezitatorin Else Johannsen: von Bergedorf zur BBC

Bergedorfer Zeitung, 6. Oktober 1925

Else Johannsen verließ Bergedorf, aber als Else Johannsen-Wagner kehrte sie mehrmals zurück, und sie verschwand nicht – wie Ehefrauen damals zumeist – in der Versenkung des Privat- und Familienlebens.

Else Johannsen, aus bürgerlichem Haus in der Holstenstraße in Bergedorf, hatte ihre ersten öffentlichen Auftritte als Pianistin bei den Kaffeestunden der Bergedorfer Hausfrauen im Hotel Bellevue (BZ vom 6. März und 7. Mai 1914). Bei einem Wohltätigkeitskonzert in der Aula der Stadtschulen begleitete sie den renommierten Konzertmeister Heinrich Bandler und knüpfte eventuell bereits Kontakte zu Robert Nhil vom Deutschen Schauspielhaus (BZ vom 17. und 20. März 1916). Zu dieser Zeit war sie Schülerin an der Klavier-Akademie von Hans Hermanns, spielte Kammermusik und gab Begleitungsstunden (Anzeigen Johannsens in der BZ, z.B. vom 1. April 1916 und 23. Juni 1917).

Bergedorfer Zeitung, 9. September 1920

1918 ging sie nach Berlin, um am Deutschen Theater bei Max Reinhardt zu studieren. Sie kehrte nach einem Gastspiel in Wien nach Bergedorf zurück, wo sie wieder Unterricht erteilte und aktiv am Bergedorfer Kulturleben teilnahm, z.B. bei der Feier zur Eröffnung der Fichte-Hochschule. Beim ersten öffentlichen Auftritt der gerade gegründeten Ortsgruppe Bergedorf-Sande des kommunistischen Hamburger Sängerbundes wie bei einem Konzert der Bergedorfer Stadtkapelle wirkte sie als Rezitatorin mit (BZ vom 6. Oktober, 6. und 23. November1922). Eine große Karriere als Schauspielerin zeichnete sich ab, als sie 1920 für vier Jahre fest an das Deutsche Schauspielhaus kam und vom Theaterkritiker des Hamburger Fremdenblatts eine vielversprechend positive Kritik erhielt.

Bergedorfer Zeitung, 6. Februar 1924

Es kam anders: in einer Anzeige vom Mai 1923 bezeichnete sie sich als „ehemaliges Mitglied des Deutschen Schauspielhauses“ (BZ vom 8. Mai 1923). Ob die Inflationsprobleme des Jahres dabei ausschlaggebend für das vorzeitige Vertragsende waren oder ob andere Gründe vorlagen, ist nicht bekannt, auch nicht, wie erfolgreich sie als freiberufliche Lehrerin (auch für Klavier) war.

Dennoch sollte ihre Zeit am Schauspielhaus ihr weiteres Leben prägen: der oben genannte Theaterkritiker des Fremdenblatts war ein gewisser Dr. Albert Malte Wagner

Wagners journalistische Karriere, die ihn 1924 als Chefredakteur zu der Nürnberger Zeitung nach Süddeutschland führte, wurde durch die rassistische Politik der Nationalsozialisten 1934 zerstört: wegen seiner jüdischen Abstammung emigrierte er nach Großbritannien, und seine Frau ging mit ihm. Gemeinsam arbeiteten sie in London für die BBC, u.a. mit einer Hörfunkserie „Die Abenteuer von Paula and Peter; ten broadcast dialogues in German“. Wagner wurde 1949 Professor in Jena, kehrte aber nach (ideologischen) Auseinandersetzungen 1955 zurück nach London, wo er 1962 starb. Else Johannsen-Wagner arbeitete auch nach seinem Tod bis 1972 weiter für die BBC, vor allem mit Deutschkursen und Komponistenporträts (Link zu den Einträgen im Archiv der BBC). Das Datum ihres Todes ist unbekannt.

 

Dieser Beitrag wurde unter Bergedorf1925 veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert