Wäre der Schuster aus Grabau bei Schwarzenbek bei seinen Leisten geblieben statt zum Lederkauf nach Hamburg zu fahren, wäre es nicht zu dieser Räuberpistole gekommen über einen (nicht stattgefunden habenden) Raub, die auch einiges über journalistische Sorgfalt erkennen lässt. Eins nach dem anderen.
Wolffs Telegraphen-Bureau (WTB) hatte sich eines Berichts der Schwarzenbeker Nachrichten angenommen, und so geriet der angebliche Überfall in eine Berliner Zeitung und in das Hamburger Echo, das seinen Artikel mit der Titelzeile „Raubüberfall im Eisenbahnzug“ ausstattete (HE vom 16. September). Die Bergedorfer Zeitung brachte die Meldung am folgenden Tag – sie versah die Überschrift mit einem Fragezeichen (BZ vom 17. September), denn sie hatte Zweifel an der Schilderung: nach der WTB-Meldung waren fünf Schwarzenbeker im Zug betäubt und ausgeraubt worden, der in Bergedorf zugestiegene Täter aber auf dem Hamburger Hauptbahnhof verhaftet worden, und die Geplünderten erhielten ihr Geld zurück – die BZ war skeptisch, denn ihre Recherchen bei Polizei und Eisenbahnverwaltung liefen ins Leere: dort war der Vorfall nicht bekannt, wie auch der Hamburgische Correspondent (HC), ebenfalls am 17. September, schrieb.
„Kein Raubüberfall, sondern leeres Geschwätz“ titelten gleichlautend Hamburger Echo und Hamburgischer Correspondent (beide am 19. September) – die BZ war mit dem „versackten Grabauer Schuster in Nöten“ durchaus kreativer. Die Inhalte aller drei Artikel waren sehr ähnlich, und alle drei Redaktionen gaben sich damit zufrieden, obwohl Fragen offenblieben: warum überhaupt erfand der Mann diese Story, wenn doch die angeblich Beraubten alle ihr Geld zurückerhielten und er das benötigte Leder hätte kaufen können? Und warum erzählte er das alles dem Stammtisch? Und wie reagierte seine „Eheliebste“ auf die löchrige Erzählung? Und konnte der Schuster lederlos weiterarbeiten?
Zu allen Fragen konnten keine weiteren Zeitungsartikel gefunden werden, kein Journalist bohrte weiter nach, und überhaupt hatten sich die Zeitungen mit der Recherche keine Arbeit gemacht: die BZ (ähnlich der HC) nahm zwar für sich an Anspruch, „an zuständiger Stelle Erkundigungen“ eingeholt zu haben, doch beide hatten (redaktionell bearbeitet) wohl nur übernommen, was eine mit WTB konkurrierende Presseagentur übermittelt hatte.
Die genannten Hamburger Zeitungen können wie die BZ über das Portal Hamburger Zeitungen digital gelesen werden.



