Bergedorf postalisch 4: Weltstadt für 38 Tage

Bergedorfer Zeitung, 29. Dezember 1887

Bergedorfs (Reichs-)Post hatte Konkurrenz bekommen: wie in manchen Großstädten mit „weltstädtischem Verkehr“ hatte auch hier eine private Briefbeförderungsgesellschaft ihren Betrieb aufgenommen, die mit wahren Dumpingpreisen den örtlichen Postmarkt erobern wollte: bei ihr sollte der Ortsbrief zwei Pfennig kosten – bei der Reichspost waren es laut Wikipedia damals fünf Pfennige. Die BZ gab sich aber skeptisch, da „der Adressat in den meisten Fällen ebenso schnell zu erreichen ist wie der nächste Briefkasten“.

Diesen publizistischen Fehlstart hätte der Unternehmer A. Salvador jr. sicher vermeiden können, wenn er für sein Vorhaben in der BZ Anzeigen geschaltet hätte, aber er informierte Bergedorfs Haushalte durch ein „Zirkular“, also eine Art Flugblatt oder Hauswurfsendung. Das Übergehen der BZ strafte diese eben mit süffisant-mokanter Berichterstattung.

Bergedorfer Zeitung, 31. Dezember 1887

Und die Zeitung konnte noch eins draufsetzen, wie der in diesem Artikel geschilderte Vorfall zeigt: die zugesagte tägliche Leerung war über die Weihnachtstage unterblieben, folglich auch die Zustellung – der Bote hatte die Festtage in Hamburg verbracht (BZ vom 3. Januar 1888).

Die Marken des Herrn Salvador jr. waren übrigens recht groß und aufwändig-künstlerisch gestaltet. Falls allerdings die Dame auf der Zwei-Pfennig-Marke eine Vierländerin in Vierländer Tracht darstellen sollte, ging dies ziemlich an der Realität vorbei und kann nur mit Freiheit der Kunst erklärt werden.

 

 

 

 

 

BZ, 26. Januar 1888

Gegen Ende Januar 1888 gab die Briefbeförderungsgesellschaft auf, sogar mit Anzeige in der BZ. Wie viele Bergedorfer auf wie vielen Briefmarken sitzenblieben, ist unerforscht. Jedenfalls war es nun vorbei mit der Weltstadtherrlichkeit.

Ob Herr Salvador wirklich in einen Briefzustellungswettbewerb mit der Reichpost treten wollte, ist fraglich. Christoph Ozdoba vermutet, dass der Betreiber „eher philatelistisch als postalisch“ unterwegs war, denn von den am 25. Dezember auf den Markt gebrachten fünf Marken (mit Tierbildern, siehe unten) von zwei bis fünfzehn Pfennig stellte er gezähnte wie auch ungezähnte Exemplare her, zudem ca. einhundert verschiedene Probedrucke – so hatten die Sammler etwas zu tun und Herr S. hatte Einnahmen auch ohne Briefaustragen – das erinnert sehr an Monsieur Moens und seine Drucke der „echten“ Bergedorf-Marken, siehe den Beitrag zu den Originalen, Nachdrucken und Fälschungen.

 

 

 

 

 

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