Das „Frascati“

Der beeindruckendste Bau des „Italienischen Viertels“ muss das nachweislich vom Hamburger Baumeister Alexis de Chateauneuf entworfene „Frascati“ gewesen sein, das Günther Lange [Günther Lange, Alexis de Chateauneuf. Ein Hamburger Baumeister 1799-1853, Hamburg 1965, S. 70] so beschrieb:

Es entstand … als Fachwerkbau mit äußerer Verbretterung. Die U-förmige zweigeschossige Anlage war durch einen vorgelagerten Eingang, eine umlaufende Veranda sowie zwei den Hauptbaukörper flankierende weithin sichtbare Türme gekennzeichnet. Die klare gebändigte Form des Bauwerkes läßt es trotz der einfachen Materialien nobel wirken. Auch hier zeigt sich Chateauneufs Kunst, herkömmlichen Bauweisen völlig neue Reize abzugewinnen.

Frascati zu Bergedorf 1842, Quelle: Bergedorfer Schlosskalender 1927

Drei Grundrisszeichnungen des „Frascati“ und ein Ausschnitt aus dem Streckenplan sind wiedergegeben in dem vom Kultur- und Geschichtskontor herausgegebenen Buch über die Hamburg-Bergedorfer Eisenbahn von 1842 [Geerd Dahms, Die Hamburg-Bergedorfer Eisenbahn von 1842. Vom Hamburger Brand zum „Italienischen Viertel“, in: Kultur- und Geschichtskontor (Hg.), Hamburg-Bergedorfer Eisenbahn von 1842, Hamburg 1992, S. 89 und 71]. Der Ausschnitt aus dem Streckenplan zeigt unmittelbar neben dem „Frascati“ ein weiteres Gebäude, das in Erwartung großer Gästeströme schon vor der Eröffnung der Bahnstrecke in Auftrag gegeben worden war: „Am 18. 2. 1842 legte Chateauneuf den Riß für das Nebengebäude vor. Es enthielt ‚einen großen Speisesaal und Nebenzimmer so wie im Erdgeschoß, Wagen-Remise, Stallraum etc.‘ So hatte Maurice einen Speisesaal von 150 qm Größe gewonnen.“ [Ebd., S. 89]. Auf dieses Nebengebäude wird zurückzukommen sein.

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Frascati mit Nebengebäude
(aus Staunau, Textteil, Blatt [51], Zeichnung Oskar Schwindrazheim am unteren Seitenrand)

Über die Innenausstattung des Hauptgebäudes sind nur textliche Schilderungen erhalten, darunter die von Emil Müller aus dem Baujahr 1842:

Emil Müller

Emil Müller

Aus: Begleiter auf der Hamburg-Bergedorfer Eisenbahn. Nach authentischen Quellen, mit einer Karte der Bahn, mit der Ansicht des Bahnhofes zu Hamburg und der Ansicht von Frascati zu Bergedorf, Hamburg 1842, S. 16-17.

David Klemm [David Klemm: Chronologisches Werkverzeichnis (Werke und Projekte), in: ders. / Hartmut Frank (Hg.), Alexis de Chateauneuf 1799-1853. Architekt in Hamburg, London und Oslo. Hamburg 2000, S. 149–323, hier S. 234f.] zitiert Passagen hieraus und konstatiert: „Die überlieferten Antikenzitate und die Beteiligung des Malers Carl Julius Milde an der Ausstattung lassen auf eine qualitätvolle Gestaltung schließen.“ (Eine Zeichnung der Caryatiden des Pandroseums von Sir William Gell aus dem Jahre 1811 kann man im British Museum betrachten.)

Die optimistischen Erwartungen von Eigentümer und Pächter hinsichtlich der Gästezahl wurden arg enttäuscht: Maurice befreite sich 1844 mit einer Barzahlung vorzeitig aus dem Pachtvertrag, nachfolgende Pächter wurden zu immer günstigeren Konditionen angeworben, wenn sie denn nur den Wartesaal für die Bahnreisenden ausstatteten und im Winter beheizten. Doch nach der Verlegung der Bahntrasse 1846 kam das endgültige Aus: der Fachwerkbau wurde auseinandergenommen, verkauft und in Friedrichsruh, d.h. an der neuen Bahnstrecke, wiederaufgebaut. Die folgende Abbildung (von der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg auf ca. 1850 datiert) zeigt das baulich sichtbar veränderte, aber an den Türmen gut identifizierbare „Frascati“ in Friedrichsruh:

„Friedrichsruh vom Schneckenberg“ (Stahlstich)

Aber schon 1857 wurde es dort nach Klemm durch ein Feuer total zerstört [Vgl. ebd., S. 235 und S. 239, ebenso Dahms, a.a.O., S. 91]. Andere Autoren machen andere Angaben: laut Jörgen Bracker [Jörgen Bracker (Hg.), Zu Gast in Bergedorf. Von alten Herbergen und Gaststätten in Bergedorf-Lohbrügge. Hamburg 1990 (Bergedorf-Porträt Heft 5), S. 33] brannte es erst 1861 ab, laut Johannes Spallek [Johannes Spallek: Bahnhof und Stadtwasserwerk. Die Kooperation William Lindleys mit dem Architekten Alexis de Chateauneuf, in: Ortwin Pelc / Susanne Grötz (Hg.), Konstrukteur der modernen Stadt. William Lindley in Hamburg und Europa, Hamburg , S. 146–173, hier S. 156] blieb es lange erhalten: „Das Bahnhofswirtshaus fand einen neuen Standort in Friedrichsruh im Sachsenwald. 1871 erwarb es Otto von Bismarck, der es umbauen ließ und fortan als Wohnhaus benutzte.“ Dieser Darstellung Spalleks wird jedenfalls nicht gefolgt.
Abschließend zu „Frascati“ soll es noch einmal um das oben erwähnte Nebengebäude gehen, denn es verblieb offenbar in Bergedorf und wurde zum Hotel „Bellevue“ im Villenviertel transloziert, das 1861 von Friedrich Stoffert übernommen wurde. In seinen Erinnerungen schreibt er: „Das Gewese [des Bellevue, B.R.] bestand aus einem nahezu quadratischen Parterre und einem später davor gehängten Flügel, dem abgebrochenen Frascati entnommen. Das Hauptgebäude war ein starker Massivbau, ursprünglich wohl bestimmt, mehrere Stockwerke zu tragen. … Unter dem sehr leicht gebauten Flügel befanden sich Stallungen für wenigstens 30 Pferde. Mein erstes war, dies Erdgeschoß zu Wohnräumen einzurichten. Ich gewann so fünf Zimmer für einen mir völlig nutzlosen Pferdestall, denen gegenüber noch kleine Gelasse für Wirtschaftszwecke.“ [Friedrich Stoffert, Bergedorf und Umgebung. Illustrierte Erinnerungen, 1822 bis 1888, bearbeitet von Gerhard Stoffert, Hamburg 2006, S. 157]. Zwei Zeichnungen Stofferts, eine Ansicht von Bellevue um 1861/62 und eine dazu passende Grundrissskizze, lassen es sehr plausibel erscheinen, dass es sich hier um den genannten Chateauneuf-Bau handelt (Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Herrn Prof. Dr. Gerhard Stoffert):

Grundrissskizze, 'Bergedorf und Umgebung', S. 156

Bellevue zur Zeit des Ankaufs, 'Bergedorf und Umgebung', S. 164

Das „Bellevue“ wurde in den folgenden Jahrzehnten mehrfach umgebaut, was auch den Seitenflügel nicht unberührt gelassen haben dürfte. Im Jahre 1895 zerstörte ein Feuer die Baulichkeiten [Vgl. ebd., S. 240] und damit auch den Chateauneuf-Flügel, den wohl letzten „Rest“ des spektakulären „Frascati“. Am Rande des als Parkplatz und Veranstaltungsfläche genutzten Frascatiplatzes in Bergedorf steht heute das „Frascati 1“:

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1 Antwort zu Das „Frascati“

  1. B.O. sagt:

    Vielen Dank für diesen und andere Artikel. Ich lese mit Begeisterung.

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