Gesundheitsreform 1921: Flatrate für Medikamente?

Bergedorfer Zeitung, 11. Januar 1921

Die Apotheke in Ochsenwärder stand kurz vor dem Aus: „Die Einnahmen der Apotheke sind seit Jahren so gering, daß sie ohne durchgreifende Hilfe noch in diesem Jahre eingehen wird“, hieß es in einem weiteren Bericht der BZ vom 5. Februar 1921 – nun schlug die Landherrenschaft vor, eine Apothekensteuer von zehn Mark pro Jahr zu erheben und dafür die verordnete Medizin kostenlos auszugeben, quasi per Flatrate.

Die Apotheke war zuständig für das Kirchspiel Ochsenwärder (2.024 Einwohner), zu dem auch Spadenland (416), Tatenberg (290) und Moorwärder gehörten (BZ vom 15. Februar 1921; Bevölkerungszahlen für Moorwärder sind dort nicht aufgeführt, nach der Statistik des Hamburgischen Staates, Band 32.1927, S. 44, waren es 465 im Jahr 1919), geschätzt also etwa 3.200 Menschen. Das jährliche Aufkommen der Apothekensteuer würde demnach also bei 32.000 Mark gelegen haben.

Doch als eine Rechtsprüfung ergab, dass die „zwangsweise Eintreibung“ einer Apothekensteuer nicht zulässig wäre, kam ein anderer Vorschlag zum Tragen: der Apotheke wurde ein Zuschuss gezahlt, 7.000 Mark aus der Kasse der Landherrenschaft und ein gleich hoher Betrag aus den beteiligten Gemeinden (BZ vom 15. Februar), die dafür drei Mark pro Jahr als „Kopfsteuer“ von den Einwohnern eintreiben wollten (BZ vom 16. März, 17. Mai, 16. August und 30. September).

Das wird dem Apotheker nur genügt haben, wenn er weitere Einnahmen erzielen konnte, und die konnten nur von den Nichtversicherten kommen, d.h. von den Selbstständigen: Bauern und andere Betriebsinhaber waren nicht versicherungspflichtig, mussten also als Nichtversicherte ihre Medikamente in der Apotheke bezahlen. Für sie wäre die letztlich nicht eingeführte „Flatrate“ von besonderem Vorteil gewesen – die den pflichtversicherten Handwerksgesellen und (zumeist landwirtschaftlichen) Arbeitern verschriebenen Medikamente wurden unverändert über die Krankenkasse abgerechnet.

Moorwärder (bzw. seine Gemeindevertretung) wollte sich an dem Zuschuss nur unter einer Bedingung beteiligen: es müsse eine verlässliche Fährverbindung zur Querung der Norderelbe geschaffen werden (BZ vom 15. Februar und 17. Mai). Was zunächst wie ein illegitimes Koppelgeschäft aussieht, wird durch einen Blick auf die topographischen Gegebenheiten nur allzu verständlich, denn Moorwärder lag (und liegt) südlich dieses Elbarms, Ochsenwärder nördlich – und was nützt die schönste Apotheke, wenn man sie nicht erreichen kann?

Ob und wann die Fähre kam, war der BZ 1921 nicht zu entnehmen.

 

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