Hohe Belohnungen und der Selbstschutz der Geschäftsleute

Bergedorfer Zeitung, 2. Oktober 1920

Der erste Einbruch in Ludwig Gansers Konfektionshaus hatte in der Nacht vor der Eröffnung am 19. August 1920 stattgefunden (BZ vom 19. August 1920) – sechs Wochen später wurde es erneut heimgesucht. Der Schaden betrug jeweils etwa 6.000 Mark, und beide Male setzte Ganser für die Ermittlung der Täter eine Belohnung von 2.000 Mark aus, doch die Diebe konnten offenbar nicht ermittelt werden.

Diebstahl von Textilware in großem Stil hatte offenbar Konjunktur, denn ebenfalls im August gelangten Diebe in das Kaufhaus Biebler, wo sie Stoffe stahlen – der Abtransport erfolgte in acht Koffern aus dem Sortiment des Kaufhauses. Der Schaden wurde auf 70.000 Mark beziffert, und Biebler bot als Belohnung 2.000 Mark für die Ermittlung der Täter und 10 Prozent des Warenwertes bei Wiederbeschaffung. Zumindest einen erheblichen Teil der Summe wird er bezahlt haben, denn die Diebe wurden gefasst und ein Großteil der Beute (darunter fünf der Koffer) sichergestellt (BZ vom 23. August und 4. September).

Bergedorfer Zeitung, 5. Oktober 1920

Gewichtiger war der Schaden, der der Zuckerraffinerie Milde & Hell (siehe den Beitrag Der Kamp – Bergedorfs Industriegebiet) kurz nach dem zweiten Einbruch bei Ganser entstand: ihr wurden nächtens 18 Doppelzentner Zucker gestohlen, was logistisch herausfordernd gewesen sein dürfte. Der Schaden wird auch hier mehrere tausend Mark betragen haben (Fabrikpreis für Zucker von 275 Mark pro Zentner laut BZ vom 1. Oktober). Die ausgesetzte Belohnung musste vermutlich teilweise gezahlt werden, denn die Diebe wurden verhaftet und acht Doppelzentner Zucker kehrten zurück (BZ vom 25. Oktober).

Bergedorfer Zeitung, 30. Oktober 1920

In keinem dieser (und anderer) Fälle steht fest, dass tatsächlich die Belohnungen zur Ergreifung der Täter geführt hatten. Es könnten auch Ermittlungserfolge der Polizei gewesen sein, doch das Vertrauen in die örtlichen Ordnungshüter war offenbar gering: mit der nebenstehenden Anzeige wurden die Geschäftsinhaber aufgerufen, sich in einem „Selbstschutz“ mit bewaffneten nächtlichen Streifengängen zu organisieren (siehe auch BZ vom 27. Oktober). Bis zum Jahresende wurde das Tätigwerden dieser Einrichtung allerdings nicht gemeldet: vielleicht war die Lage doch nicht so schlimm.

 

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