Der Steuerabzug vom Lohn

Bergedorfer Zeitung, 9. Juni 1920

Steuerreformen sind komplexe Angelegenheiten, und mit dem Einkommensteuergesetz von 1920 wurde steuerrechtliches Neuland betreten. Bis dahin hatte es eine Landes- und eine Gemeinde-Einkommensteuer gegeben, die nun wegfielen und durch die Reichs-Einkommensteuer ersetzt wurden. Das klingt zunächst einmal simpel, stellte sich in den folgenden Monaten aber als schwierig dar.

 

Bergedorfer Zeitung, 17. Juni 1920

Die Arbeitnehmer mussten sich nun von der Gemeinde eine Steuerkarte ausstellen lassen, in die der Arbeitgeber bei der Post erworbene Steuermarken im Wert von zehn Prozent des Arbeitslohns einzukleben hatte – diese zehn Prozent wurden also dem Arbeitnehmer nicht ausgezahlt, sondern kamen dem Reich zugute.

Nicht nur der bar ausgezahlte Lohn unterlag diesem Verfahren, sondern auch „Sach- und Naturalbezüge (freie Station, Kost und Logis und dergleichen)“, wie es in einer Bekanntmachung des Landesfinanzamts Unterelbe hieß (BZ vom 9. Juni), was vor allem das Hauspersonal betraf: wenn ein Arbeitgeber den Sach- und Naturallohn höher bewertete als den bar gezahlten Lohn, hätte er mehr als 20 % des Barlohns einbehalten müssen, wenn nicht das Reichsfinanzministerium in einer nachgeschobenen Bekanntmachung die Abzüge auf maximal 20 % begrenzt hätte (BZ vom 23. Juni). Um so überraschender war dann die Bekanntmachung, dass „die genannten Bezüge … wegen Berechnungsschwierigkeiten zunächst dem Steuerabzug noch nicht unterliegen. Bei den Lohnzahlungen sind daher einstweilen nur zehn vom Hundert des Barlohnes einzubehalten.“ (Bekanntmachung des Landesfinanzamts Unterelbe, BZ vom 28. Juni).

Das dicke Ende für die Beschäftigten kam aber nach: im August gab es die nächste Bekanntmachung zum Geldwert anderer Bezüge: „Bis zu der demnächst erfolgenden anderweitigen Festsetzung ist hierbei anzunehmen:“ Hausdamen, Hauslehrer etc. vier Mark pro Tag, „sonstiges weibliches Personal M 3,- f. d. Tag“ (BZ vom 5. August).

Die Auswirkungen des Gesetzes hatte man offenbar grob unterschätzt – das passierte auch bei einer späteren Finanzreform (1975), bei der der zuständige Finanzminister Hans Apel überrascht wurde. Er kommentierte die unbeabsichtigten Folgen prägnant: „Ich dacht‘, mich tritt ein Pferd“.

Bergedorfer Zeitung, 2. August 1920

Ähnlich werden das 1920 viele Reichstagsabgeordnete gedacht haben, denn die zehnprozentige „flat tax“ traf natürlich die Bezieher kleinerer Einkommen sehr viel stärker als die Besserverdiener, und so wurde das Gesetz durch Einführung eines „abzugsfreien Betrags“ von 125 Mark im Monat und einer Art Familienrabatt von 40 Mark pro Kopf und Monat deutlich sozialer. Auch wurde die flat tax auf 15.000 Mark pro Jahr gedeckelt, darüber setzte die Progression bis zu 55 % ein.

 

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