Die Lebensbedingungen der Kriegsgefangenen in der hiesigen Landwirtschaft

Bergedorfer Zeitung, 13. Mai 1918

Natürlich durften Kriegsgefangene sich nicht frei bewegen: sie waren ja Gefangene, aber die in der Landwirtschaft beschäftigten Gefangenen wurden nicht rund um die Uhr von den „Wachtkommandos“ beaufsichtigt, denn abends sollte der Arbeitgeber (bzw. die Arbeitgeberin) dafür sorgen, dass sie „durch eine zuverlässige Person zur Unterkunftsstelle gebracht“ wurden. Wo die Kriegsgefangenen untergebracht waren, war der BZ meist anlassbezogen zu entnehmen: in Curslack gab es eine wohl eigens für sie errichtete Baracke (in die eingebrochen wurde, BZ vom 15. März 1917), auf dem Ost-Krauel gab es ein Lager (einer der Gefangenen ertrank beim Baden in der Elbe, BZ vom 19. Juni 1917), ebenso in Kirchwärder. In Kirchwärder gab es mindestens zwei Lager in Gastwirtschaften: bei Timmann in Seefeld (von wo drei russische Kriegsgefangene entwichen, BZ vom 5. Oktober 1916 und 14. Juni 1917) und bei Reimers auf dem Hitscherberg (BZ vom 4. Februar 1916), für Ochsenwärder wurden sogar acht Lager genannt (BZ vom 5. Februar 1916). Über die Unterkunftsbedingungen war nichts zu erfahren.

Für die Kriegsgefangenen gab es geregelte Arbeitszeiten – auf wessen Betreiben die Landherrenschaften diese festsetzten, bleibt offen. Man darf vermuten, dass die Wachtkommandos an dieser Regelung ein besonderes Interesse hatten: so konnten sie abends leichter feststellen, ob jemand fehlte.

Da die Länge der Frühstücks- und Vesperpause nicht genannt wurde, kann man die Netto-Arbeitszeit nur schätzen: es dürften etwa zehneinhalb bis elf Stunden gewesen sein, mit maximal einer Überstunde pro Tag. Der Sonntagvormittag war nicht frei – wenn „unaufschiebbare Arbeiten“ und die „üblichen leichten Verrichtungen“ erledigt werden mussten, konnte die Wochenarbeitszeit 70 Stunden ohne weiteres erreichen, wenn nicht überschreiten. Damit lag sie deutlich über dem im produzierenden Gewerbe üblichen 10-Stunden-Tag, dürfte aber den in der Landwirtschaft gewöhnlichen Zeiten entsprochen haben.

Bergedorfer Zeitung, 6. April 1918

Im April 1918 druckte die Bergedorfer Zeitung eine Bekanntmachung „betreffend die Abgabe von Lebensmitteln für Kriegsgefangene“: wenn man den Ersatzkaffee mitrechnet, belief sich die Ration auf 9.665 Gramm – für zwei Monate! Es ist zu vermuten, dass zu diesen 160 Gramm Lebensmitteln pro Tag noch Kartoffeln und weiteres Gemüse aus dem Selbsterzeuger-Betrieb des landwirtschaftlichen Arbeitgebers hinzukamen, eventuell auch Brot, Brotaufstrich und Fleisch, doch sicher ist das nicht. Die Zivilbevölkerung erhielt in jenen Tagen 1.950 Gramm Brot oder 1.365 Gramm Mehl, 3.500 Gramm Kartoffeln, 200 Gramm Fleisch, 200 Gramm Zucker, 250 Gramm Marmelade o.ä., 60 – 70 Gramm Butter und/oder Margarine und 60 Gramm Grieß, Nudeln o.ä. mit Extra-Zuteilungen für Schwerarbeiter – für eine Woche (BZ vom 6. April 1918), alles weitere richtete sich nach dem Einkommen.

Der Normalzustand war Hunger, wenn auch in unterschiedlichem Maße.

Anmerkung:
In der aktuellen Ausgabe (Band 103/2017) der Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte befasst sich Sebastian Merkel in seinem Aufsatz „Kriegsgefangen auf Hahnöfersand. Ein Hamburger Arbeitslager und -kommando während des Ersten Weltkrieges“ u.a. mit den selben Fragen wie dieser Beitrag und kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Merkel bezeichnet den regionalgeschichtlichen Kenntnisstand zum Thema als unzulänglich: „In der hiesigen Stadtgeschichtsschreibung treten sie [die Kriegsgefangenen] nahezu nicht in Erscheinung.“ (S. 88).

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