Nahezu vergessen ist heute die Sander Autorin Thea Kahle, deren erster Roman „Sonne“ 1908 in der „Deutschen Roman-Zeitung“, 45. Jahrgang, 2. Band, erschienen war. Ende 1916 erfolgte die Veröffentlichung ihres zweiten Romans als eigenständige Publikation im Verlag von Richard Mühlmann in Halle (nicht Hamburg, wie die BZ schrieb): „Judas Simon Ischarioth“.
Im Zentrum des Romans steht Judas, einer der zwölf Jünger Jesu. Das Bild des getreuen Anhängers, der seinen Schwager mit der Verwaltung seines Wohlstands und der Fürsorge für Frau und Kinder beauftragt, um Jesu folgen zu können, bekommt aber bald Risse: er erkennt, dass er nicht der Lieblingsjünger ist und dass Jesus nicht die weltliche Herrschaft und damit die Befreiung Israels von den Römern anstrebt, womit seine Hoffnung auf eine führende Rolle in diesem neuen Reich sich zerschlägt. Seine Enttäuschung steigert sich in Hass, der schließlich zum Verrat führt, den Judas noch vor der Kreuzigung Jesu bereut, was ihn letztlich in den Selbstmord treibt.
Eine theologische Debatte zum Judasbild Thea Kahles kann in diesem lokalhistorischen Blog nicht geführt werden, und auch Literaturkritik soll hier nicht geleistet werden. Es wäre aber schon von Interesse zu wissen, ob Thea Kahle das Motiv des Friedensfürsten, als der Jesus in ihrem Roman häufig bezeichnet wird, in bewusster Auseinandersetzung mit dem für sie aktuellen Krieg wählte, doch dazu bedürfte es näherer Kenntnis der Autorin und weiterer Werke aus ihrer Feder.
An ihren Roman „Sonne“ heranzukommen, ist schwierig: das „nördlichste“ Exemplar befindet sich in der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel. „Judas Simon Ischarioth“ ist in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg vorhanden – und wer diesen Titel bei einem bekannten Internet-Versender als Suchbegriff eingibt, stößt sogar auf einen Nachdruck von 2010, der bei Kessinger Legacy Reprints erschienen ist – ein Verlagshaus (in Whitefish, Flathead County, Montana, USA), das das „print on demand“ copyrightfreier Bücher betreibt – nach Wikipedia ein Geschäftsmodell, das Bücher der „public domain“ entzieht, indem eine neue ISBN-Nummer beantragt wird, sodass – schwupps – wieder Copyright vorhanden ist, natürlich bei dem Reprint-Verleger …
Thea (Dorothea) Kahle war laut Hamburger Lehrerverzeichnis 1920/21 (S. 166) Lehrerin an der Hilfsschule Rosenallee 37 in Hammerbrook. Sie wohnte in Sande, Waldstraße 31 (heute Höperfeld).