Eine Plagiatsaffäre in Bergedorf

Bergedorfer Zeitung, 23. Oktober 1916

Bergedorfer Zeitung, 23. Oktober 1916

Normalerweise fielen BZ-Artikel über den Bergedorfer Frauenverein und seine Veranstaltungen rundum positiv aus – doch hier platzte dem Journalisten (-mm- steht wohl für den Redakteur Ammenn) der Kragen, weil die Rote-Kreuz-Schwester Erna Ruscheweyh sich in seinen Augen des Diebstahls geistigen Eigentums, also des Plagiats, schuldig gemacht hatte: in ihrem Bulgarien-Vortrag habe sie nicht nur eigene Erlebnisse dargestellt, sondern ihre allgemeinen Ausführungen über Land und Leute auf Literatur aufgebaut, die sie hätte nennen müssen, aber nicht nannte, nämlich Kurt Floerickes „Bulgarien und die Bulgaren“, und dann auch noch ein Buch „eines bekannten Feulletonisten“, den der Journalist mit Nicht-Nennung des Namens strafte, zur weiteren Lektüre empfohlen.

Jedenfalls war die Empörung von -mm- groß und er legte „schärfste Verwahrung“ gegen diese Aneignung von Forschungsergebnissen ein. Er sah sich und die BZ verpflichtet, das Wächteramt über das „geistige Leben Bergedorfs“ in dieser Weise auszuüben.

Bergedorfer Zeitung, 28. Oktober 1916

Bergedorfer Zeitung, 28. Oktober 1916

Bei Vorstand und Mitgliedschaft des Bergedorfer Frauenvereins muss helles Entsetzen über den Bericht geherrscht haben: mit einem großen Inserat hatte man für die Veranstaltung geworben (siehe BZ vom 19. Oktober 1916) und einen Reinertrag von 240 Mark zugunsten der örtlichen Hinterbliebenenfürsorge erzielt – bei Eintrittspreisen von 50 Pfennigen bis 2 Mark muss der Vortrag also gut besucht gewesen sein. Auch hatte man an jenem Abend für das bulgarische Rote Kreuz gesammelt und 70,62 Mark eingenommen (siehe BZ vom 25. Oktober 1916), doch der Zeitungsbericht machte durch die Überschrift den Frauenverein für den „Skandal“, diese Untat am geistigen Leben der Stadt, zumindest mitverantwortlich. Das war eine (in heutigen Worten) massive Imageschädigung und damit Gefährdung der weiteren Vereinsarbeit, und vermutlich ermunterte der Verein Schwester Ruscheweyh, auf den Abdruck einer Gegendarstellung zu drängen.

Die BZ druckte diese, aber nicht, ohne anzumerken, dass es eigentlich gar keine Gegendarstellung sei, sondern der gescheiterte „Versuch einer Rechtfertigung“, und dass die BZ also nichts Falsches berichtet habe. Immerhin: den Frauenverein nahm die Zeitung durch Nicht-Nennung des Veranstalters aus der Schusslinie.

Ob die ganze Aufregung um die Plagiatsaffäre und das geistige Leben Bergedorfs, um das sich Ammenn bekanntlich u.a. als Regisseur der Freilichtaufführung von Wallensteins Lager intensiv bemühte, letztlich doch nur eine zum Elefanten aufgeblasene Mücke war, möge jeder selbst beurteilen und dabei berücksichtigen, dass Frau Ruscheweyh ja keine Dissertation eingereicht hatte.

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