Die Weihnachtsbäume und das perfide Albion

BZ, 6. Dezember 1922

Warum gab es in Bergedorf keine Weihnachtsbäume? Weil die Engländer sich „das ureigenste Symbol des deutschen Weihnachtsfestes“ aneigneten, den für sie günstigen Wechselkurs rücksichtslos ausnutzten und unzähligen deutschen Kindern schiffsladungsweise die Bäume entrissen. (Nebenbei bemerkt: es waren deutschstämmige Mitglieder des britischen Königshauses, die bereits im frühen 19. Jahrhundert den Weihnachtsbaum als Brauch nach Großbritannien „importierten“, wie es in der englischsprachigen Ausgabe von Wikipedia unter Christmas tree heißt.)

BZ, 8. Dezember 1922

Ein weiterer Grund für das Ausbleiben der Weihnachtsbäume dürften die hohen Transportkosten gewesen sein, was die Reichsbahn (sicher nicht ohne Druck aus der Politik) veranlasste, die Tarife für dieses Handelsgut um 30 Prozent abzusenken, sogar bis nach dem Fest.

BZ, 12. Dezember 1922

Dennoch musste man mit hohen Preisen rechnen, was in Bergedorf auch „Selbstversorger“ auf den tannenbestandenen Gojenberg trieb, vermutlich in größerer Zahl als hier in der BZ beschrieben. Ob am 12. Dezember in Bergedorf wirklich noch keine Weihnachtsbäume zu erwerben waren, muss allerdings bezweifelt werden: ab dem 11. Dezember wollte ein Anbieter aus der Brunnenstraße den Verkauf aufnehmen (Anzeige in der BZ vom 9. Dezember), und am 13. Dezember hatte dann auch der Lokalredakteur wahrgenommen, dass man auf dem Brink Bäume kaufen konnte, zu allerdings stolzen (Papiermark-)Preisen:

BZ, 9. Dezember 1922

BZ, 13. Dezember 1922

 

Anzeigen weiterer Händler (aus Sande, Curslack, Neuengamme und Geesthacht) folgten – soweit Preise genannt wurden, lagen sie zwischen 130 und 400 Mark (Anzeigen vom 13., 14., 16., 18. und 21 Dezember) – und es gab auch einen regionalen Großanbieter: die Gutsverwaltung Glinde wollte Bäume an Wiederverkäufer abgeben (BZ vom 18. Dezember).

Es war den Engländern also nicht gelungen, den Markt leerzukaufen.

 

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