Hirschfleisch, Lachs und Einheitsbrot

Bergedorfer Zeitung, 8. September 1922

Es wurden richtige Delikatessen in Bergedorf angeboten – neben Hirschfleisch konnte man auch „feinste frische Mecklb. Meiereibutter“, „feinste Treibhaustomaten und Vierländer Tomaten“ kaufen (BZ vom 8. und 12. September), dazu verschiedenes Tafelobst.

 

BZ, 9. September 1922

Der Fischhändler August Gerhus offerierte „ff. geräucherten Lachs, fette Ostsee-Aale, Fett-Bücklinge, Riesen-Lachs-Heringe“ (BZ vom 7. September), und zum Bergedorfer Jahrmarkt natürlich seine Krebssuppenpaste mit interessanten Bestandteilen. Auch Bergedorfs Gastronomie bot zu demselben Anlass Krebssuppe, Beefsteak, Bockwürstchen mit oder ohne Kartoffelsalat (diverse Anzeigen in der BZ vom 9. September).

Es ist aber davon auszugehen, dass nur eine Minderheit von diesen kulinarischen Angeboten Gebrauch machen konnte – für viele Menschen war es ein Problem, überhaupt satt zu werden.

Bergedorfer Zeitung, 8. September 1922

Auf den meisten Speisezetteln werden Brot und Kartoffeln weit oben rangiert haben, und in diesen Familien hat man Meldungen wie diese  sicher aufmerksam gelesen: ab Mitte Oktober sollte es nicht mehr vorkommen können, dass die Käufer von Hirsch, Lachs usw. von der massiven Subventionierung des „Markenbrots“ durch das Reich profitierten, weil sie über der Einkommensgrenze lagen. Sie mussten ihre Brotmarken abgeben, wenn sie nicht eine Strafe von maximal einem Jahr Gefängnis und bis zu 500.000 Mark riskieren wollten (Bekanntmachung in der BZ vom 28. September). Der Preisunterschied zum freien Brotmarkt war durchaus beachtlich: unter Berücksichtigung des Gewichtsunterschieds kostete ein markenfreies „Wittenberger“ etwa dreieinhalbmal mehr als ein „Einheitsbrot“ (BZ vom 31. August).

Was nach diesen Zahlen zunächst angemessen klingt, muss aber an den Einkommen gemessen werden: der Wochenlohn eines Bäckergesellen belief sich ab September auf 3.800 Mark (BZ vom 31. August); die Arbeiter der Bergedorf-Geesthachter Eisenbahn dürften nach der Lohnerhöhung um 9 Mark pro Stunde (BZ vom 2. und 3. August) ebenfalls ihre „Markenberechtigung“ verloren haben – nur die Ärmsten der Armen bekamen noch verbilligtes Brot.

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