Die Insel am Mühlendamm (Holstenstraße) und der Verkehr

Hier genügt schon der erste Blick auf die Karten, um den Unterschied zu erkennen:

Kartenausschnitt  'Holstenstraße' mit den umgebenden Wasserflächen Serrahn und Bille-Becken – 1875 (links) 1904 (rechts)

Auf der Karte von 1904 befindet sich auf der Nordostseite (zum Schloss hin) eine Grünanlage, während die ältere Karte dort eine dichte Bebauung zeigt. Diese Änderung des Stadtbildes ist für den historischen Kern Bergedorfs, d.h. zwischen Holstentor und Sachsentor, die wohl einschneidendste im Zeitraum spätes 19. / frühes 20. Jahrhundert: seine frühe Umgrenzung, den Blickgraben, hatte Bergedorfs Bebauung schon früh überschritten. Die Stadttore waren im 17. Jahrhundert verlegt worden, um zumindest entlang der Hauptverkehrsachse der Bebauung weitestgehend gerecht zu werden. In den 1850er Jahren waren sie dann beseitigt und die nächtliche Torsperre aufgehoben worden – siehe hierzu den Aufsatz von Hans Kellinghusen aus dem Jahre 19501.

Die Niederlegung der Bebauung an der Nordostseite der Holstenstraße hatte verkehrstechnische Gründe, denn in einer Reihe von „Nadelöhren“ war hier das schlimmste:

Bergedorf. Holstenstraße vor dem Abbruch

Dabei zeigt dieses Aquarell noch nicht einmal, wie eng es gleich hinter der Mühlenbrücke im Vordergrund wirklich war. Dies ist erkennbar auf der folgenden Fotografie, bei der die Mühlenbrücke im Bild hinten liegt:

Holstentorenge

Oliver Barghorn-Schmidt, Auf dem Wege zur modernen Kleinstadt: Bergedorf zwischen 1873 und 1914, in: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte Bd. 83.1997, 2, S. 148.

In der Literatur differieren die Angaben über die Holstentorenge: nach Dahms hatte „der Fahrweg zwischen den Häuserfronten … hier lediglich eine Breite von fünf Metern“2, nach Barghorn-Schmidt betrug die Breite „inklusive Bürgersteig nur knapp über drei Meter“3, nach Spiering war es hier „so eng, daß kaum ein Wagen passieren konnte“4. Widersprüchlich sind auch die Angaben zu durchgeführten Verkehrszählungen, aber wenn man den mittleren Wert (drei Meter Fahrbahn und Bürgersteige von je einem Meter) zugrunde legt, dürfte es für die 4.299 Fußgänger und 439 Wagen am Zählungsstichtag im Jahre 18825 reichlich eng gewesen sein, sodass Unfälle und Staus den Verkehr häufig lahmlegten. Ein Ausweichen auf andere Strecken war mit stundenlangen Umwegen verbunden6, die Friedrichsbrücke über den Schleusengraben (Näheres bei: „Der neue Hafen am Serrahn“) war nicht tauglich für schwere Fuhrwerke.

Der Abriss der Häuser auf der genannten Seite der Holstenstraße 1892 verbesserte die Verkehrssituation ganz beträchtlich (und führte zur Anlegung eines kleinen Parks), aber nun mussten die Serrahnsbrücke (1894) und die Mühlenbrücke (1895) verbreitert werden7.

Die folgende Abbildung zeigt die erneuerte Mühlenbrücke im frühen 20. Jahrhundert:

Mühlenbrücke im frühen 20. Jahrhundert

Die im Jahre 1900 erbaute Bille-Brücke im Zuge der neuen Ernst-Mantius-Straße nützte vorwiegend dem Villenviertel, nicht dem innerstädtischen und dem Durchgangsverkehr8.

1904 wurden im Straßenzug Große Straße/Sachsenstraße durch Baumfällungen weitere Engpässe beseitigt, was aber auch nur temporäre Erleichterung brachte – schon 1912 wurden Pläne für zwei „Durchbruchsstraßen“ beschlossen, die allerdings erst 1929/30 (Vierlandenstraße) und 1954/56 (Bergedorfer Straße) ausgeführt wurden9. Welche Konsequenzen die Durchbruchsstraßen für das noch weitgehend mittelalterliche Stadtbild zeigten, hat die „Initiative zur Erhaltung historischer Bauten in Bergedorf e.V.“ dokumentiert und kommentiert10.

  1. Hans Kellinghusen, Die ehemalige Befestigung Bergedorfs, in: Gerd Hoffmann / Bruno Hoeft (Hg.), Bergedorfer Bürger erzählen Geschichte. Lebenserinnerungen, Berichte, Holzschnitte, Zeichnungen, Hamburg 1987, S. 106–109 []
  2. Geerd Dahms, Bergedorf. Altes neu entdeckt, 2., überarb. Aufl. Hamburg 2004, S. 29 []
  3. Oliver Barghorn-Schmidt, Auf dem Wege zur modernen Kleinstadt: Bergedorf zwischen 1873 und 1914, in: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte Bd. 83.1997, 2, S. 133–174, Anm. 46 auf S. 148 []
  4. Andreas Spiering: Bergedorfs Entwicklung von 1883 bis 1908, Texte aus Wochen-Anzeiger 1908, in: Gerd Hoffmann / Bruno Hoeft (Hg.): Bergedorfer Bürger erzählen Geschichte. Lebenserinnerungen – Berichte – Holzschnitte – Zeichnungen. Hamburg 1987, S. 50–75, hier S. 68 []
  5. Dies sind die geringsten genannten Werte, vgl. Oliver Barghorn-Schmidt, Vom Städtchen zur Stadt. Bergedorfs Weg ins 20. Jahrhundert (Schlossheft Nr. 2), Hamburg 1997, S. 16 []
  6. Siehe die Zitate aus der Bergedorfer Zeitung (1890) bei Gerd Hoffmann: Ludwig Uphoffs Bergedorf. Geschichten aus der Geschichte eines Stadtteils, Erfurt 2009, S. 46 []
  7. Vgl. Wilhelm Melhop, Historische Topographie der Freien und Hansestadt Hamburg von 1880 bis 1895, (nebst vielen Nachträgen aus älterer Zeit) im Anschluss an die „historische Topographie“ von C. F. Gaedechens, Hamburg 1895, S. 523 []
  8. Vgl. Oliver Barghorn-Schmidt, Vom Städtchen zur Stadt. Bergedorfs Weg ins 20. Jahrhundert (Schlossheft Nr. 2), Hamburg 1997, S. 37 []
  9. Vgl. Oliver Barghorn-Schmidt, Auf dem Wege zur modernen Kleinstadt: Bergedorf zwischen 1873 und 1914, in: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte Bd. 83.1997, 2, S. 133–174, hier S. 149, und: Stefan Petzholdt, Öffentlicher Raum Sachsentor, in: Museum für Bergedorf und die Vierlande (Hg.), Handel und Wandel im Sachsentor. Die Geschichte einer Bergedorfer Straße, Hamburg 1999, S. 193–199, hier S. 196–197 []
  10. Vgl. Initiative zur Erhaltung historischer Bauten in Bergedorf e.V. / Arbeitskreis Stadtarchiv, Die Zerstörung von Alt-Bergedorf. Der Bau der Vierlandenstr. / Bergedorfer Str. in den Jahren 1928–1957, 2. Aufl., bearb. von Geerd Dahms/Andreas Fahl, Hamburg 1989, passim []
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4 Antworten zu Die Insel am Mühlendamm (Holstenstraße) und der Verkehr

  1. Barbie Sahs Lewandowdki sagt:

    Hello. I very much enjoyed your blog. My grandfather was born in Bergedorf. My grandmother was born in Sande. Her mother was from Geesthacht & her father from Zweedorf? I think.

    Thank you for your lovely website.

    • Bernd Reinert sagt:

      Hello,
      there are at least two places (villages) called Zweedorf, both of them in Mecklenburg, and it may well be that your great-grandfather came from there: many people from Mecklenburg left their homes in the 19th and 20th centuries and moved to cities (or even emigrated to other countries like the USA) in order to find better jobs.

  2. Barbie Sahs Lewandowski sagt:

    Hello.
    My family came to Missouri USA from Bergedorf. Sande & Geesthacht. I very much enjoyed reading your blog.

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