Der schlampige Nachruf auf den Stuhlrohr-Patriarchen

Bergedorfer Zeitung, 18. Juli 1921

Bergedorfer Zeitung, 19. Juli 1921

 

 

 

 

 

 

Der Nachruf auf Rudolf Sieverts war der BZ so oberflächlich geraten, dass sie am folgenden Tag einen zweiten drucken musste, der die gemachten Angaben nicht nur ergänzte, sondern auch zu korrigieren versuchte, allerdings mit nur mäßigem Erfolg: Sieverts war Bürgerschaftsabgeordneter von 1902 bis 1913 (also zwei Perioden) und auch  lange Jahre Vorsitzender seiner Fraktion. Als Reichstagskandidat war er (erfolglos, zu Kaisers Zeiten) für die Nationalliberalen angetreten. Er war auch nur einer der drei Gründer des Unternehmens, aber hatte seit 1890 als Alleininhaber den Aufstieg der Firma geprägt, die vor dem Krieg zu Bergedorfs größtem Arbeitgeber und größtem Steuerzahler geworden war.

Bergedorfer Zeitung, 20. Juli 1921

Die BZ hätte eigentlich auch schreiben müssen, dass Sieverts über lange Jahre stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats der Bergedorf-Geesthachter Eisenbahn gewesen war, doch das war nur der Traueranzeige der BGE zu entnehmen. Der Unternehmer hatte schon bei der Gründung der BGE für (mindestens) 53.000 Mark Aktien gezeichnet, und die Bahnlinie kam nicht nur Bergedorfs Entwicklung zugute, sondern auch seiner Fabrik, zu der ein Stichgleis führte.

Sein wohltätiges Engagement für Bergedorf war durchaus übersichtlich. Neben der von der BZ genannten Stiftung, aus deren Zinsen Lehrlinge ein Stipendium erhielten (siehe z.B. BZ vom 5. März 1921), tauchten in den Jahren seit 1914 nur vereinzelt Spenden an die Kriegshilfe und das Rote Kreuz auf (siehe die Gabenverzeichnisse in der BZ vom 6. Februar 1915, 19. Februar 1916 und 28. Januar 1919).

Ob er wirklich „für seine Arbeiter und Angestellten allezeit ein warmes Herz“ hatte? In seiner Rede zum Jubiläum der Firma 1907 betonte Sieverts die freiwillig gezahlten Sozialleistungen sowie die guten Löhne, auch verteilte er damals Geldgeschenke an die Mitarbeiter, die er vor den „Einflüssen von außen und in kleinem Umfang auch … im Innern der Fabrik“ warnte, womit er die Gewerkschaft meinte. Seine Grundeinstellung hatte sich also seit 1897, als er durch Unbeugsamkeit einen zehnwöchigen Streik (wegen der Entlassung von Gewerkschaftlern) „gewann“, nicht geändert: er war und blieb patriarchalisch.

Bergedorfer Zeitung, 21. November 1921

Die nach Rudolph Sieverts‘ Tod neue Geschäftsleitung behielt offenbar seinen Kurs bei: als im November ein Streik bei den benachbarten Stuhlrohrfabriken von Rümcker & Ude ausbrach, sperrte das Sieverts’sche Werk seine Arbeiter ebenfalls aus.

Die nicht der BZ zu entnehmenden Informationen stammen aus dem Bergedorfer Personenlexikon (S. 186-187), einem Heft von Geerd Dahms über Die Stuhlrohrfabriken in Bergedorf und dem Aufsatz von Alfred Dreckmann (S. 159-176). Die korrekte Schreibweise des Vornamens (Rudolf oder Rudolph) war nicht zu klären.

Dieser Beitrag wurde unter Bergedorf 1921 veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert