Heimatkunst: „Knust un Nudel“

Bergedorfer Zeitung, 10. Juli 1915

Bergedorfer Zeitung, 10. Juli 1915

Schon 1915 kannte die Bergedorfer Zeitung die Saure-Gurken-Zeit: der „Tagesbericht“ vermeldete an erster Stelle, dass Mädchen in Bergedorf sich mit einem Ballspiel vergnügten, das vielerorts einfach als „Probe“ bekannt war und in vielen Varianten existierte, wie man u.a. bei Peter Unbehauen, Hella Langosch-Fabri und Sybil Gräfin Schönfeldt nachlesen kann.

Wirklich bemerkenswert an diesem Artikel ist die Verwendung der plattdeutschen Sprache, die ansonsten in der BZ gemieden wurde. Das Platt allerdings weist einige Abweichungen zu dem im Bergedorfer Raum und den Vierlanden gesprochenen Platt auf – es könnte sein, dass der Autor „H.M.“ der Lehrer Hans Matthiessen, der aus Arnis/Schlei stammte (siehe Bergedorfer Personenlexikon, S. 140), war.
Ob „H.M.“ wirklich eine Veranschaulichung dieses Kinderspiels gelang, mag jeder für sich selbst beurteilen, aber deutlich wird in jedem Falle, dass die Bewegungsabläufe nicht einfach waren.

Und für alle, die des Plattdeutschen nicht mächtig sind und deshalb den „tiefen Sinn“ des Spiels, das ja ein „Stück Heimatkunst“ war, nicht erkennen, folgt hier die Übersetzung ins Hochdeutsche:
>>Sieh mal die drei kleinen Mädchen am Bretterzaun! „Ich bin schon bei Knust!“ – „Ich schon bei Nudel!“ – „Ich schon bei Nudelklatsch!“ Wir wollen sie einmal beobachten. Die eine fängt gerade wieder an. Gott bewahre uns, welch ein Tempo; auf einmal begreifst Du das gar nicht. Du solltest lieber, wenn Du selbst ein kleine Tochter hast, sie einmal heranholen. Sie wird Dir das erklären. Sie vergisst nichts. Und dann geht Dir so langsam ein Licht auf, welch tiefer Sinn in solch einem Kinderspiel liegt und welchen Spaß Du so einer kleinen Elster mit einem Ball zu zwei Groschen machen kannst, und dass in solch einem Spiel ein Stück Heimatkunst steckt.

Hast Du’s schon heraus? Neun Proben (=Aufgaben) kann sie. Du darfst aber nicht glauben, dass es einerlei ist, von welcher Seite Du anfängst, und ob Du von Neun bis Eins oder von Eins bis Neun zählst. Nein, bei Neun fängt es an. Mit der flachen Hand schlägt sie den Ball gegen die Wand, fängt ihn mit gekreuzten Händen und wirft ihn wieder. Nun wirft die rechte Hand den Ball über die linke Schulter (nicht umgekehrt!), beide Hände fangen ihn wieder, und dann ist sie schon bei Knust. Das merkst Du schon so, dass Du da die rechte Hand zur Faust ballen musst. Nun greifst Du den rechten Arm auf dem Rücken mit der linken Hand und wirfst den Ball über den Kopf, faltest die Hände und stößt den Ball gegen die Wand. Aber schnell, sonst kriegst Du den Kopfstoß nicht fertig. Nun breite die Hände aus, vergiss nicht, die Daumen dabei zu kreuzen und stoße den Ball das achte Mal gegen die Wand. Wenn Du das hast, lass ihn auf die Erde springen und Du hast die neun Proben gut bestanden. Aber glaube nicht, dass Du damit am Ende angelangt bist. Die Bergedorfer Proben sind fein ausgetüftelt. Nun fängt es wieder von vorn an, Aufgabe neun bis eins und zwischendurch musst Du immer einmal klatschen. Nach dieser Klatschprobe kommt sogar ein Doppelklatsch, dann ein Nachklatsch, nun Vor- und Nachklatsch; und wenn Du dann Vor-Nach-Vorklatsch gemacht hast, kannst Du einmal Nudel (=Drehen) versuchen, und wenn Du mit allem fertig bist, kommt noch ein Nudelklatsch und ein Nudeldoppelklatsch. Du wirst schon berechnet haben, dass Du einundachtzig Proben gelernt hast.

So ein recht aufgewecktes Mädchen kann aber noch mehr. Sie kennt nicht nur die Bergedorfer Proben, sie hat sich auch die Sander und Gezachter (Geesthachter heißen sie nicht) abgekuckt. Und ihre Freundin kann auch die Hamburger und deren Freundin hat mir erzählt, dass sie eine Freundin hat, die auch die Lübecker kann. Was sagst Du nun? H. M. <<

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