Der Hamburger Wissenschaftler und Gründungsdirektor des Deutschen Übersee-Instituts, Andreas Predöhl, ist ein vergessener Ökonom, der schon vor 90 Jahren viele Entwicklungen der Weltwirtschaft vorhergesehen hat. So prognostizierte er den Aufstieg neuer Führungsmächte wie China, Brasilien und Indien ebenso wie die Bedeutung eines wirtschaftlichen Großraums für die Überlebensfähigkeit Europas. Doch seine Verflechtungen mit dem Nazi-Regime haben seine Theorien für die heutige Forschung diskreditiert: Während der Nazi-Diktatur verfasste er als Leiter des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) zahlreiche Auftragsarbeiten für die Nationalsozialisten.
Im Rahmen des Jubiläumsjahres des GIGA haben sich die beiden Wissenschaftler Prof. Dr. Wolfgang Hein und Prof. Dr. Robert Kappel in einem Paper mit dem Titel „Raum, Welt, Wirtschaft: Andreas Predöhl – eine deutsche Wissenschaftlerkarriere“ intensiv mit dem Leben und Werk von Predöhl auseinandergesetzt. Trotz seiner Nazi-Kollaboration wurde der Ökonom 1964 Gründungsdirektor des Deutschen Übersee-Instituts in Hamburg, aus dem 2007 das GIGA hervorgehen sollte.
Am 11. September 2014 diskutieren Hein und Kappel gemeinsam mit Prof. Dr. Johannes Bröcker von der Universität Kiel und Prof. Dr. Dieter Läpple von der HafenCity Universität Hamburg über Predöhls schwieriges Vermächtnis. Wie bei seinen prominenteren Kollegen Martin Heidegger und Carl Schmitt stellt sich bei Predöhl die Frage, wie man heutzutage mit der Arbeit dieses Forschers umgeht. Moderiert wird die Veranstaltung von Dr. Brigitte Preissl von der Deutschen Zentralbibliothek für Wirtschaftswissenschaften (ZBW).
Weitere Informationen zur Veranstaltung und Anmeldung auf der Website des GIGA.
Zusammenfassung des Papers „Raum, Welt, Wirtschaft: Andreas Predöhl – eine deutsche Wissenschaftlerkarriere:
Die Karriere von Andreas Predöhl ist typisch für viele prominente deutsche Wissenschaftler der Nachkriegszeit, die zuvor während der Herrschaft des Nationalsozialismus diesem Regime gedient hatten. Von 1934 bis 1945 war Predöhl Direktor des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, von 1949 bis 1960 Ordentlicher Professor in Kiel und Münster und von 1964 bis 1969 der erste Präsident des Deutschen Übersee‐Instituts, des heutigen GIGA.
“ Diese Arbeit liefert eine ausführliche kritische Bewertung seines Verhältnisses zum Nationalsozialismus, aber auch seines wissenschaftlichen Beitrages, der vor allem in Untersuchungen zu folgenden Themen besteht:
a) zur Entwicklungstheorie,
b) zur Theorie der raumbildenden Standortfaktoren vor dem Hintergrund der internationalen Diskussion über die weltwirtschaftlichen Raumstrukturen und
c) zu neuen Wachstumskernen in der Weltwirtschaft und zum Spannungsverhältnis zwischen nationalstaatlichen Interessen und Steuerungsmöglichkeiten in der Globalisierung.
Die Arbeiten von Predöhl liefern Anknüpfungspunkte für die heutige Forschung zu diesen Themen und damit wichtige Ansätze zum Verständnis der Dynamik einer sich zentrisch entwickelnden Weltwirtschaft. Seine aktive Verstrickung in das Terrorregime des Nationalsozialismus weist aber auch darauf hin, dass der Wissenschaft als Element politischer Praxis eine wichtige Verantwortung zukommt.“
Download des Papers „Raum, Welt, Wirtschaft: Andreas Predöhl – eine deutsche Wissenschaftlerkarriere“ im Format PDF.
Auch das Hamburger Abendblatt berichtet über die Veranstaltung. Lesen Sie hier den Artikel von Matthias Gretzschel: Zwischen Nazis und Godesberger Programm.
Podiummdiskussion Raum, Welt, Wirtschaft – Andreas Predöhl: Vom Nazi-Kollaborateur zum Vordenker der EWG
Referenten: Johannes Bröcker (Universität Kiel), Wolfgang Hein (GIGA), Robert Kappel (GIGA), Dieter Läpple (HafenCity Universität Hamburg) Moderation: Brigitte Preissl (ZBW)
Donnerstag, 11. September 2014, 18:00-19:30 Uhr
Neuer Jungfernstieg 21, 20354 Hamburg, Raum 519