Der Tarifkonflikt im Kleinhandel

Bergedorfer Zeitung, 6. Mai 1920

Die Angestellten im Einzelhandel von Bergedorf und Sande drohten mit der „Anwendung der letzten gewerkschaftlichen Kampfmittel“, also mit Streik in den „leistungsfähigen Geschäften“, d.h. den größeren Läden – der Lebensmittelhandel fand überwiegend in Klein- und Kleinstläden statt, in denen der Inhaber zugleich einer der Verkäufer und der gewerkschaftliche Organisationsgrad wohl geringer war.

Die Tarifverhandlungen mit dem Verein der Ladeninhaber von Bergedorf-Sande waren gescheitert. Leider war aus der BZ nicht zu erfahren, welche Gehälter tatsächlich gezahlt wurden, aber sie dürften in der Spitze unter oder um 500 Mark im Monat gelegen haben. Das erste Angebot der Arbeitgeber hatte laut Gewerkschaft auf ein Höchstgehalt von 550 Mark gelautet (BZ vom 12. Mai) – dem stand die Gewerkschaftsforderung von bis zu 765 Mark gegenüber. Man näherte sich zwar an, die Differenz schrumpfte auf 55 Mark (635 Mark zu 690 Mark), aber eine Einigung konnte nicht erzielt werden. Die Arbeitgeberseite wies zwar die Darstellung des Zentralverbands der Angestellten als überwiegend unrichtig zurück, verzichtete aber auf eine schriftliche detaillierte Richtigstellung – mündlich wolle man gern Auskunft geben, sogar anhand von Unterlagen (Sprechsaalbeitrag in der BZ vom 8. Mai).

Die Klage des Zentralverbands der Angestellten über schlechte Bezahlung war beredt, und die herangezogenen Vergleiche zeigen, dass schon vor hundert Jahren im Einzelhandel nur niedrige Gehälter gezahlt wurden – der BZ waren ansonsten nur sporadisch Lohn- bzw. Gehaltsangaben zu entnehmen: in Sande wurden männlichen Gemeindearbeitern 3 Mark pro Stunde gezahlt, weiblichen 2,50 Mark (BZ vom 19. Mai), in Geesthacht erhielten männliche Arbeiter beim Sportplatzbau 4,50 Mark (BZ vom 30. Juni). Die Gemeinde Besenhorst zahlte einem Hilfsnachtwächter 20 Mark pro Nacht (BZ vom 15. Juni) – in Bergedorf wurden Nachtwächter Ende 1915 mit 4,50 Mark pro Schicht entlohnt (BZ vom 16. Dezember 1915). Löhne und Gehälter stiegen aber allgemein nicht so schnell wie die Preise.

In Bergedorfs Einzelhandel wird es damals letztlich nicht zum Streik gekommen sein, man entschied sich in einer Gewerkschaftsversammlung, den Schlichtungsausschuss in Hamburg anzurufen (BZ vom 11. Mai), und einige Wochen später nahm die Hauptversammlung der Ladeninhaber den Bericht ihrer Tarifkommission entgegen (BZ vom 5. Juni) – hätte es einen Streik gegeben, hätte dies sicher in der BZ Niederschlag gefunden. Da der Zentralverband der Angestellten schon im Mai verkündete, dass eine in Bergedorf neue Firma die Gehaltshöhe von 690 Mark akzeptiert hatte (BZ vom 12. Mai), kann man davon ausgehen, dass die Arbeitnehmerseite sich weitgehend durchsetzte.

Die Schlechterstellung der weiblichen Angestellten, die 15 Prozent weniger erhalten sollten, war offenbar nicht Gegenstand des Tarifkonflikts.

 

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