Preußisch-Kirchwärder: von Erdöl und Erdbeeren

Bergedorfer Zeitung, 8. Februar 1918

Zwar ruhte im Februar 1918 die Arbeit an den Explorationsbohrungen in der Gemeinde Preußisch-Kirchwärder, aber die Hoffnung auf fördertaugliche unterirdische Schätze schien nicht absurd, denn wenige Kilometer entfernt gab es die Erdgasquelle von Neuengamme, die in jenen rohstoffarmen Tagen dringend benötigtes Gas nach Hamburg lieferte. Letztlich hoffte die Gemeinde allerdings vergeblich, und so musste man weiter auf Schätze von der Oberfläche vertrauen, z.B. Erdbeeren. Ein „frisches grünes, vielversprechendes Aussehen“ der Pflanzen im Februar war und ist allerdings keine Garantie für eine gute Ernte.

Preußisch-Kirchwärder war damals eine eigenständige Gemeinde, die aber nicht über ein geschlossenes Gemeindegebiet verfügte, wie man einer Landkarte von etwa 1871 und einer Landkarte von ca. 1924 entnehmen kann: die Flächen sind auf beiden Karten im Nordosten Kirchwärders mit durchbrochenen Linien umgrenzt.

In die dokumentierte Geschichte eingetreten war das spätere Preußisch-Kirchwärder im 14. Jahrhundert, als das Kloster Scharnebeck mehrere Hufen in Kirchwärder und fast alle landesherrlichen Rechte darüber von den Herzögen von Sachsen-Lauenburg erwarb. Nach der Reformation und der Auflösung des Klosters kam das Gebiet in den Besitz der Herzöge von Braunschweig-Lüneburg, von denen wiederum die britischen Könige des Hauses Hannover abstammten, die zugleich weiter Kurfürsten von Braunschweig-Lüneburg blieben, sich 1814 zu Königen von Hannover erklärten, aber 1866 dieses Königreich an Preußen abtreten mussten. So wurden diese Teile Kirchwärders, darunter der bei der Kirche belegene Mönkhof, preußisch, wie bei Johann Friedrich Voigt (S. 93 – 97) und (sehr knapp) bei Ferdinand Ahuis nachzulesen ist, und waren dem Amt Winsen unterstellt. Die Geschichte dieser Gemeinde endete mit dem Groß-Hamburg-Gesetz.

Bergedorfer Zeitung, 22. Februar 1918

Bis dahin allerdings gab es ein reges Eigen- und Gemeinschaftsleben: so hatte man eine eigene Jugendkompagnie (zu der die Jugendlichen „ersucht“ wurden, sich zu melden), deren Führer H. Hüge vom Königlichen Landratsamt (in Winsen) eingesetzt worden war. Es gab den Turnverein Kirchwärder N.S. (Nordseite) von 1899, der dem Turnkreis Winsen angeschlossen war und dessen Vereinslokal Hüge auf preußischem Gebiet lag. Hüge war laut Bergedorfer Adressbuch 1915 nicht nur Gastwirt und Betreiber des Bahnhofsrestaurants Kirchwärder-Nord, sondern auch Gemeindevorsteher und Standesbeamter sowie Krankenkassen-Verwalter. Der Anzeige zufolge hatte er den Gemeindevorsitz 1918 nicht mehr inne, aber sein Gasthaus wird weiter ein Zentrum des sozialen Lebens von Preußisch-Kirchwärder geblieben sein: im Saal fanden häufig Theaterabende, Militärkonzerte (mit einer Kapelle aus Winsen, z.B. BZ vom 29. Juni 1917) und andere Wohltätigkeitsveranstaltungen (des Jungmädchenvereins Seerose aus Kirchwärder-Seefeld, z.B. BZ vom 16. Dezember 1917) statt. Auf preußischem Gebiet stand seit etwa 1750 auch Kirchwärders für mehr als 200 Jahre einzige Apotheke, wie Thorsten Wirsching (S. 12f.) schreibt.

Schornstein im früheren Preußisch-Kirchwärder

Noch heute sind im Straßenbild einige wenige Spuren dieser Teilung Kirchwärders zu erkennen, am Hausdeich und am Kirchenheerweg: nach der im preußischen Teil geltenden (hannöverschen) Bauvorschrift mussten die Schornsteine von Reetdachhäusern mit mehreren Quadratmetern Dachziegeln o.ä. umgeben werden, um die Brandgefahr zu verringern. Im hamburgischen Kirchwärder war das nicht der Fall.

 

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