Die Kartoffeln und der „Steckrübenwinter“

Bergedorfer Zeitung, 17. Februar 1917

Bergedorfer Zeitung, 17. Februar 1917

Bergedorfer Zeitung, 17. Februar 1917

Bergedorfer Zeitung, 17. Februar 1917

Zwei Pfund Kartoffeln (fünf Pfund für Schwerarbeiter mit Zusatzkartoffelkarte), zehn Pfund Rüben und zwei Pfund Zwiebeln pro Kopf für eine Woche: das war der Kern der kargen Lebensmittelration in Bergedorf (hinzu kamen 1850 g Brot, 200 oder 250 g Fleisch mit eingewachsenem Knochen, 150 g Zucker, eine Kleinmenge von Nudeln, Reis oder Graupen, gelegentlich ein Ei, etwas Fisch oder auch Weißkohl, siehe BZ vom 3., 10. und 17. Februar 1917). Und das war viel weniger als nötig.

65.000 Zentner mecklenburgische Kartoffeln waren Bergedorf im September 1916 „zugewiesen“ worden (siehe den Beitrag Kaffeeersatz …). Damit hätte pro Kopf der Bevölkerung täglich ein Pfund zur Verfügung gestanden, doch die Kartoffeln kamen nicht in der benötigten Menge. Obwohl eine Bergedorfer Delegation nach Mecklenburg fuhr, um die Lieferung anzukurbeln, blieben die Kartoffeln irgendwo im Dreieck aus Landwirtschaft, überlastetem Transportwesen und überforderter (Militär-)Verwaltung lange hängen. Die schlecht ausgefallene Ernte und die Kälte taten ihr Übriges (siehe BZ vom 14. und 16. November, 9. und 27. Dezember 1916 sowie 22. Januar 1917).

Dennoch lag die Kartoffelration in Bergedorf im November 1916 bei einem Pfund pro Tag, wobei allerdings ersatzweise Steckrüben ausgegeben werden konnten (zwei Pfund Rüben für ein Pfund Kartoffeln). Im Dezember wurde die Kartoffelration halbiert; als Ersatz gab es Steckrüben. Im Februar dann gab es bald nur noch zwei Pfund Kartoffeln pro Woche und entsprechend noch mehr Steckrüben. In Geesthacht gab es zeitweise gar keine Kartoffeln, sondern nur Rüben (siehe BZ vom 13. und 17. November sowie 20. Dezember 1916, 3. und 17. Februar 1917).

Bergedorfer Zeitung, 27. Februar 1917

Bergedorfer Zeitung, 27. Februar 1917

Steckrüben wurden dem Brotteig beigemengt (anstelle von Kartoffeln, siehe den Beitrag K wie Kartoffel), auch wurden sie getrocknet oder eingesäuert (als Sauerkrautersatz). Mit Genehmigung der „Kriegsrübensaftgesellschaft m.b.H.“ konnte sirupartiger Rübensaft aus Zuckerrüben in den Handel gebracht werden, und es gab „Kriegsmarmelade“ oder „Kriegsmus“ auf Rübenbasis (siehe BZ vom 1. Dezember 1916, 2. Januar, 8. und 27. Februar 1917). Eine Rezeptzusammenstellung des Museums für Kunst und Gewerbe zeigt weitere Verwendungs- und Zubereitungsmöglichkeiten, ebenso verschiedene Kriegskochbücher. Kein Wunder, dass man vom „Steckrübenwinter“ sprach.

Woher kamen diese Unmengen von Steck- und anderen Rüben? Natürlich aus Umverteilung: das Verfüttern von Rüben (und vieler anderer gebräuchlicher Futtermittel, natürlich auch Kartoffeln) wurde den Landwirten per strafbewehrter Verordnung untersagt (siehe BZ vom 11. Oktober 1916 und 5. Januar 1917). Karge Zeiten auch für’s Vieh, das sich mit getrockneten „Ersatzfuttermitteln“ begnügen musste, die in der Chemischen Fabrik Billwärder, in den Strafanstalten Fuhlsbüttel und auf „Expressdarren“ der Hamburger Abfallverwertungsgesellschaft hergestellt wurden (siehe BZ vom 20. Februar 1917).

Bergedorfer Zeitung, 23. März 1917

Die Steckrübe fand sogar ihren Weg in einen Theaterabend: das Zollenspieker Fährhaus präsentierte „Die Ballade von der Steckrübe“. Vielleicht handelte es sich hierbei um ein Theaterstück in Anlehnung an den „Kartoffelkönig von Ochsenwärder“, der vier Wochen zuvor nur wenige hundert Meter elbabwärts bei Bahlmann gezeigt worden war, vielleicht aber auch um ein Gesangsstück, wie eine andere Anzeige (siehe BZ vom 21. April 1917) nahelegt.

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