Deutsche Barbaren

Bergedorfer Zeitung, 27. Februar 1915

Bergedorfer Zeitung, 8. März 1915

Referent des dritten „wissenschaftlichen Kriegsvortrags“ in Bergedorf, Thema: „Die Erziehung zum Staatsbürger“, war Professor Dr. Adolf Hedler, einer der Begründer der „Vereinigung für staatsbürgerliche Bildung und Erziehung“, der im Auftrag der Hamburger Oberschulbehörde eine Studienreise zum Thema nach Österreich und verschiedenen Teilen des Deutschen Reichs unternommen hatte (siehe BZ vom 27. Februar 1915) und für diese Behörde auch einen „Grundriß einer Hamburgischen Bürgerkunde“ als Anhang zum Lehrbuch „Grundriß der Geschichte Hamburgs“ verfasst hatte.
Von einem solchen Manne hätte man – zumal in einem als wissenschaftlich deklarierten Vortrag – erwarten können, dass er einen Staatsbürger von einem Untertanen unterscheiden konnte, doch das ist nach dem Zeitungsbericht über diesen Vortrag eindeutig nicht der Fall. Ein Staatsbürger, ein citoyen, hat Rechte, zu denen Abwehrrechte gegenüber dem Staat gehören, ebenso politische Rechte wie zum Beispiel das Wahlrecht, das Hedler in seiner „Bürgerkunde“ (S. 84) von 1912 noch als „das höchste und wichtigste Recht des Deutschen“ bezeichnet hatte. 1915 war von Rechten nicht die Rede: seine Priorität für die Erziehung hieß Unterordnung und Disziplin, die man im deutschen Turnen lernte und die die beste Vorbereitung für die militärische Zucht bildete, während andere Sportarten (in denen Kooperation und Teamgeist wichtig waren?) eine „völkische Entartung“ darstellten.
Dieses „völkische Denken“, vermittelt durch die Väter (die aber doch im Krieg waren, Herr Professor Hedler!), und die spartanische Einfachheit der Elternhäuser sollten auch eine „militärisch-nationale Sozialdemokratie“ hervorbringen – da ist es gedanklich nicht mehr weit bis zum Nationalsozialismus.
Zu „Deutschen Barbaren“ wollte er die Jugend machen, und so gehörte er mit seiner als „wissenschaftlich“ verbrämten Ideologie zu den Wegbereitern der Barbarei der Jahre 1933 bis 1945. Seine Bergedorfer Zuhörer nahmen jedenfalls den Vortrag „mit dankbarem Beifall“ auf – der Verfasser des Artikels jedoch distanzierte sich vorsichtig, dass er „dem Redner nicht in allen Einzelheiten beipflichten mochte“ – zu gern würde man wissen, was genau ihm missfiel, aber das schreibt er leider nicht.

 

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